Eine starke Schwedin und ein engagierter Chor

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Eine starke Schwedin und ein engagierter Chor

Aus Stadtmagazin Witten 2/2019

Susanna Dornwald bittet in ihr Musikzimmer in ihrer Altbauwohnung an der Husemannstraße. Ein kreisrunder Raum mit lichtblauen Wänden und einer goldenen Borte, die perfekt auf die goldenen Vorhänge an den drei Türen abgestimmt ist. Von den Wänden schauen sympathische Engelchen mit Laute und Trompete, im Regal stehen Musikbücher, und auf dem Flügel und dem kleinen Tischchen liegen dicke Notenbücher verstreut. Gerade ist es der Messiah von Händel als Partitur und Klavierauszug. Im Februar wird sie mit dem Ama-Deus Chor Witten das Werk zweimal aufführen.

»In Schweden wird sowieso viel mehr gesungen als in Deutschland.«

Während sie den Kaffee aus der Küche holt, singt Susanna Dornwald vor sich hin. Das Singen ist von klein auf ihre Passion. Sie erinnert sich, wie sie als jüngste von drei Schwestern auf dem Fahrrad ihres Vaters hinten saß und sie gemeinsam gesungen haben. »In Schweden wird sowieso viel mehr gesungen als in Deutschland,« meint sie und erklärt den Unterschied auch gleich: »Hier wird immer sofort beurteilt, ob es gut ist. Die Deutschen haben so ­einen hohen Anspruch.« Die Chordichte in Schweden ist übrigens die höchste Europas.

Am Stadtrand von Stockholm wird sie 1951 in eine musikalische Familie geboren. Ihre Mutter ist Operettensängerin und ihr Vater spielt Posaune im Opernorchester Stockholms. Zwischen den Proben vormittags und den Aufführungen am Abend etabliert er noch ein Orchester aus einer Schule mit über tausend Schülern.

»Es gab nichts, worüber ich nicht nachgedacht habe: von der Flugzeugtechnikerin bis zur Pädagogin.«

Susanna hat nach der Schule vielfache Interessen. »Es gab nichts, worüber ich nicht nachgedacht habe: von der Flugzeugtechnikerin bis zur Pädagogin«, erzählt sie lachend. So führt sie ihr Weg zuerst nach Amerika, wo sie mit der Camphill Bewegung in Verbindung kommt, einer heilpädagogischen Initiative, die auf antroposophischen Grundlagen basiert. Und so lernt sie die antroposophische Lebensweise kennen. Mit 23 zieht sie nach Deutschland, zuerst in den Süden, für eine Ausbildung als Heilpädagogin. Daraus wird dann eine Gesangskarriere. Ihren Mann lernt sie kennen, weil er über Camphill eine Abschlussarbeit schreibt. Als er schließlich 1984 Klassenlehrer an der Rudolf Steiner Schule wird, geht es nach Witten.

In der Zeit ist sie viel unterwegs, tourt als Sopranistin durch England und Amerika, ist teilweise wochenlang auf Reisen. Irritierend findet sie die Fragen der deutschen Familien, wie sie mit kleinen Kindern so oft und so lange von zu Hause weg sein kann. Ihre beiden älteren Schwestern in Schweden meinen, sie sei wohl in ein feministisches Drittland gezogen. Nachdem sie die musikalischen Projekte ihres Mannes an der Billerbeckschule schon lange unterstützt hat, wird sie irgendwann gefragt, ob sie am Institut in Annen Gesangsunterricht für die Eurhythmieschüler geben kann. Sie entschließt sich, mehr zu Hause zu bleiben. Die pädagogische Ader hat sie wohl von ihrem Vater, und sie erwirbt das ›Gesangspädagogische Zertifikat‹.

»An einem Ort, an dem nicht gesungen wird, da fehlt Licht!«

Hier ist Susanna Dornwald dort angekommen, wo es ihr am wichtigsten ist. Sie will Menschen mit Singen und Musik weiterbringen, ihre Persönlichkeit herausbilden. »An einem Ort, an dem nicht gesungen wird, da fehlt Licht«, sagt sie. Beim Singen geht es ihr um ein tiefes Versenken in Gefühle. Oft erlebt sie, dass ihre Schülerinnen und Schüler weinen, weil sie an ihr Innerstes stoßen. Susanna Dornwald ist in keiner Kirche, aber sie glaubt. Die Musik von Mozart, Händel und Bach hält sie für die größte spirituelle Inspiration. »Wenn man nicht daran glaubt, kann man es auch nicht singen.«

Sie gründet einen Oberstufenchor an der Rudolf Steiner Schule und will auch die Eltern begeistern. Bei einer Chorfahrt nach Slowenien 2005 kommen viele Mütter und Väter mit, und die sind noch heute der Stamm des Ama-Deus Chores. 55 Sängerinnen und Sänger zwischen 21 und 80 Jahren, die sich für Susanna Dornwalds Begeisterung rückhaltlos einsetzen. Um so teure Aufführungen wie den Messiah zu finanzieren, spenden sie mindestens 100 Euro im Jahr, einige mehr. Susanna Dornwald will nämlich wirkliche kulturelle Qualität nach Witten bringen. Den jungen Solisten, die sie für das anstehende Konzert engagiert, sagt sie eine internationale Karriere voraus, wie dem Genfer Spieler der Theorbe, einem barocken Streichinstrument, ähnlich einer großen Laute. Wie Sopranistin Beate Mordal als auch Altistin Astrid Nordstad – »die beiden sind echte Ausnahmeerscheinungen!« Ihr Sohn Johann Dornwald, der in die Fußstapfen der Mutter getreten ist und schon während seines Studiums an der Oper in Kopenhagen Solopartien besetzte, singt den Basspart. Und auch Martin Vanberg, der Tenor, hat schon im Concertgebouw in Amsterdam, in Wien und an der Kölner Philharmonie Auftritte gehabt.

Seit einem Jahr proben sie alle nun an dem großen Werk Händels über das Ankommen Jesu, des Messiah. In der ersten Probe hat sich die ›Chefin‹ einfach ans Klavier gesetzt, und alle, die entweder vom Blatt die Noten lesen konnten oder sich fleißig vorbereitet hatten, konnten schon mitsingen. Danach begann die harte handwerkliche Arbeit. Einzelproben mit den Stimmen, dann Stimmpaarungen wie Bass und Alt zusammen. In der Endphase wurde sie unterstützt von ihren Assistenten, denn für das gesamte Kulturmanagement ist Susanna Dornwald ebenfalls zuständig. Sie bucht die Solisten, die Orchestermusiker und wirbt Spendengelder ein.

»Man kann Kunst nicht nicht ernst nehmen!«

Neben der handwerklichen Perfektion ist aber eines besonders wichtig für sie: dass die Chormitglieder auch verstehen und durchdringen, was sie da singen. Spontan demonstriert Susanna Dornwald uns am Flügel, wie Händel auf einer einzigen Notenseite alle Tonarten durchläuft und dabei dem mittelalterlichen Ideal von Keppler nacheifert, der alle Tierkreiszeichen des Sonnensystems als eine Einheit sah. Es geht ihr um die innere Haltung, die auch das Publikum erfassen soll. »Man kann Kunst nicht nicht ernst nehmen«, sagt sie.